Plenarrede: Der Strukturwandel im Rheinischen Revier ist Chefinnensache!

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Aussprache zur Leitentscheidung hat bereits einen Vorgeschmack darauf gegeben, welche Tonlage die SPD ab jetzt in Bezug auf den Strukturwandelprozess im Rheinischen Revier anstimmen möchte: unsachlich, Hauptsache laut, aber kilometerweit entfernt von den Wünschen, Nöten und Zielen der Menschen in der Region.

(Lena Teschlade [SPD]: Und ihr werdet immer nur persönlich!)

Mit diesem Antrag setzen Sie dieser Farce noch die Krone auf. Mit Ihrem Antrag wollen Sie den Eindruck erwecken, Sie erfänden das Rad neu. Aber nein, beim besten Willen: Sie erfinden nichts neu. Sie denken sich neue Namen für bestehende Maßnahmen der Landesregierung aus. Sie produzieren viel heiße Luft bei einem Thema, das sich angesichts der Komplexität, angesichts all der in der Region bestehenden vielfältigen Bedürfnisse doch nun wirklich nicht für parteipolitische Scharmützel eignet. Ganz im Gegenteil erfordert es die Bereitschaft, trotz gegenläufiger Positionen in den offenen und respektvollen Austausch einzutreten.

Dieser Antrag ist weder zielführend, noch scheinen Sie ein wirkliches Interesse an einem erfolgreichen Strukturwandel zu haben. Denn dafür braucht es ein ehrliches Zusammenwirken aller demokratischen Fraktionen und – ganz wichtig – aller gesellschaftlicher Akteure auch außerhalb dieses Hauses und nicht nur der Akteure, die den eigenen Parteipositionen jeweils besonders nahestehen.

(Lena Teschlade [SPD]: Es ist immer ein Problem, wenn die Rede schon geschrieben ist und man nicht mehr dazu in der Lage ist, auf etwas einzugehen! – Weitere Zurufe)

Frau Teschlade, denken Sie an Ihre Worte gegenüber Frau Plonsker von vorhin.  Jetzt reden auch Sie die ganze Zeit dazwischen.

Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Landesregierung dem Strukturwandel im Rheinischen Revier noch immer nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkt. Also jetzt mal ernsthaft: Als in diesem Hause seitens der Ministerin und seitens der CDU, der FDP und der Grünenfraktion ernsthaft über die Leitentscheidung diskutiert wurde, die eine so wichtige Grundlage für die Fortentwicklung des Rheinischen Reviers darstellt, haben Sie über Rührei und Marmelade philosophiert. Also bitte!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Darüber hinaus schreiben Sie, dass Sie den Strukturwandel zur sogenannten Chefsache machen wollen. Richtig: Der Strukturwandel ist von höchster Bedeutung und sollte Chefinnensache sein. Die gute Nachricht ist, liebe SPD: Der Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen, der Strukturwandel im Rheinischen Revier ist bereits Chefinnensache, und das seit dem Start der schwarz-grünen Zukunftskoalition.
Mona Neubaur als zuständige Ministerin bzw. als stellvertretende Ministerpräsidentin hat dem Strukturwandel in den vergangenen Monaten durch mutiges und richtungsweisendes Handeln den entscheidenden Schub Richtung Zukunft gegeben.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Angesichts einer bereits bestehenden Stabsstelle im Wirtschaftsministerium mitten im Prozess komplett neue Strukturen aufbauen zu wollen, würde doch genau das Gegenteil Ihrer Forderungen bewirken. Es würde wertvolle Zeit kosten, statt den Prozess zu beschleunigen.

Ich möchte meine Redezeit gerne auch nutzen, um Ihre Wissenslücken in Bezug auf den Strukturwandel im Rheinischen Revier zu verringern, liebe SPD-Fraktion. Sie fordern, die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Revier zur Priorität Nummer eins zu erklären. Im Reviervertrag 2.0 wurde der Arbeitsauftrag von Land und Region unter der klaren Priorität nachgeschärft, dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Ich zitiere die erste Überschrift: „Auf Arbeitsplätze fokussieren, Nachhaltigkeit gewährleisten“.

Sie fordern einen Zeit-Maßnahmen-Plan. Mit dem bereits erwähnten Reviervertrag 2.0 hat sich das Wirtschaftsministerium dazu verpflichtet, einen Meilensteinplan zu erarbeiten. Ich zitiere Punkt 1:
„Nachhaltige Arbeitsplätze bis 2030
Der Strukturwandelprozess muss prioritär zu Wachstum, Wertschöpfung und Beschäftigung führen und im Einklang mit einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Entwicklung stehen. Darum legen Land und Region Meilensteine fest, die sie gemeinsam bis 2030 mit aller Kraft umsetzen werden.“

Sie schreiben von der Schaffung tariflich gebundener Arbeitsplätze in den Anrainerkommunen. Im Reviervertrag 2.0 steht hierzu:
„Die Ambition zur inhaltlichen Fokussierung auf die Themen Arbeit (tarifgebunden, mitbestimmt und gut bezahlt), Wertschöpfung, einen attraktiven Raum und zur räumlichen Fokussierung im Kernrevier muss deutlich erkennbar und bis 2030 in zentralen Schritten erfolgreich umgesetzt sein.“

Sie fordern die Aktualisierung der Energieversorgungsstrategie. Das kann man tun. Nur sollte man dann erwähnen, dass der Prozess zur Aktualisierung dieser Strategie bereits unter dem Titel der Energie- und Wärmestrategie NRW läuft und bereits seit letztem Monat Stakeholderworkshops dazu stattfinden. Außerdem sollte man erwähnen, dass sich in der alten Energieversorgungsstrategie auf die Leitentscheidung aus dem Jahr 2021 berufen wird, über deren Aktualisierung wir – also alle anderen; der Fokus der SPD lag auf Rührei und Marmelade – noch vor ein paar Wochen an genau dieser Stelle diskutiert haben.

Mit dieser letzten Leitentscheidung wurde nicht nur das letzte Kapitel der Braunkohle geschrieben, sondern es wurde auch die Zielsetzung einer klimaneutralen Versorgungssicherheit in Handlungsschritte übersetzt. Ich zitiere:
„Die Zielsetzungen zur Klimaneutralität setzen voraus, dass im Rheinischen Revier die Erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden. Mit dem Zukunftsvertrag Rheinisches Revier und dem Gigawattpakt wurde bereits der Grundstein dafür gelegt, um bis 2028 die Erneuerbaren Energien im Rheinischen Revier auf 5 GW auszubauen.“

5 GW – das entspricht der Verdopplung der Stromerzeugungskapazitäten aus Erneuerbaren.

Sie fordern, die Flächenentwicklung zu beschleunigen, nachdem bereits in der Zukunftsagentur Rheinisches Revier für genau diesen Zweck eine AG Flächenkonsens eingerichtet wurde.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es besteht der Wunsch nach eine Zwischenfrage von der Kollegin Teschlade. Würden Sie die zulassen?

Jan Matzoll (GRÜNE): Sehr gerne.

Lena Teschlade (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege, erst mal vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Sie haben ja wieder sehr ausführlich beschrieben, dass wir nur laut sind und inhaltlich in dem Antrag nichts drin steht. An der Erstellung und der Diskussion zum Reviervertrag im Vorfeld waren Sie nicht persönlich beteiligt; insofern habe ich ein bisschen Nachsicht.
Aber können Sie Ihre drei wichtigsten Punkte nennen, was jetzt notwendig ist, um den Strukturwandel zum Erfolg zu führen, was Sie den Menschen im Revier sagen würden im Sinne von „die 3 Sachen müssen wir als Erstes anpacken“?

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Herr Kollege.

Jan Matzoll (GRÜNE): Vielen herzlichen Dank für die Nachfrage. Bei den Zielen sind wir wohl gar nicht uneinig. Ich glaube, dass Arbeitsplätze der ganz zentrale Aspekt sind, dass die Menschen eine Zukunft im Revier brauchen, dass sie aber eben auch, was die räumliche Entwicklung angeht, Strukturen brauchen. Das heißt, dass auch die Entwicklung der Landschaft und die Entwicklung von Biodiversitätsflächen eine große Rolle spielen, dass auch die Lebensqualität dort wichtig ist.
Dritter Punkt aus meiner Sicht ist die verkehrliche Anbindung. Durch die Veränderungen der Landschaft und der sozusagen veränderten Realitäten durch neue Industrieflächen, durch neue, anders genutzte Flächen und durch neue Wohnbauflächen verändert sich auch dieser Anspruch. Das sind aus meiner Sicht die drei wichtigen Themen.

Ich setze die Rede fort. Sie fordern Direktinvestitionen, um Ankerprojekte sichtbar zu machen. Mit dem TransformInvest-Programm bestehen Möglichkeiten zur direkten Förderung von KMUs.
Sie fordern Transformationslotsen, die Unternehmen bei der Suche nach Förderzugängen helfen sollen. Dabei wurde die Zukunftsagentur in den letzten Jahren mit Landesmitteln personell aufgebaut, um die von Ihnen geforderte beratende Rolle im Förderprozess einzunehmen. Mit den Zukunftsgutscheinen besteht die Möglichkeit, sich bei der Geschäftsmodelltransformation beraten zu lassen.

Sie fordern eine Landesförderrichtlinie, damit die Strukturwandelmittel des Bundes abgerufen werden können. Am 8. Dezember 2020 ist die Rahmenrichtlinie zur Umsetzung des Investitionsgesetzes Kohleregionen des Landes Nordrhein-Westfalen in Kraft getreten. Mit dieser Förderrichtlinie werden die Finanzhilfen des Bundes nach Kapitel 1 Investitionsgesetz Kohleregionen verausgabt.
Das europäische Beihilferecht wurde 2023 geändert, um die Transformation voranzubringen. Dazu wurde auch das Temporary Crisis and Transition Framework nochmals angepasst und insbesondere der beihilferechtliche Spielraum für die Gewährung von Investitionsbeihilfen im Zusammenhang mit Transformationstechnologien erweitert.

Auch durch die neue allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, die zum 1. Juli 2023 in Kraft getreten ist, hat die EU-Kommission weitere beihilferechtliche Spielräume geschaffen.
Ich möchte meine Verwunderung darüber ausdrücken, dass Sie fordern, den Reviervertrag mit Leben zu füllen, und dann Punkt für Punkt Dinge fordern, die schon längst lebendige Realität im Strukturwandelprozess geworden sind.

Vor einem Jahr hat Ihnen meine in dieser Woche leider erkrankte Kollegin Antje Grothus – gute Besserung – die Hand ausgestreckt. Strukturwandel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und braucht Zusammenarbeit. Dieser Antrag zeigt aber leider, dass Ihr Ziel nicht der nachhaltige Erfolg des Strukturwandels ist, sondern in möglichst scharfen Tönen in den Medien wahrgenommen zu werden.
Ganz egal, was ich darüber denke, ist meine Aufgabe als Vertreter einer regierungstragenden Fraktion natürlich, die Schwächen in Oppositionsanträgen zu finden. Ich bin davon überzeugt, dass das Desinteresse am Gelingen des Strukturwandels im Rheinischen Revier der SPD bei den Menschen in der Region auf die Füße fällt. Dafür bedarf es gar nicht meiner Rede.

Für einen versöhnlichen Abschluss sehen wir es positiv: Der Antrag zeigt im Grunde sehr deutlich auf, dass der Dissens zwischen der SPD und der Koalition gar nicht so groß ist.
Daher freue ich mich auf die hoffentlich sachliche Debatte im Ausschuss. Der Überweisung stimmen wir gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Herr Kollege Matzoll. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Brockes.

Verheiratet, zwei Kinder. Grüner und Ruhri aus Leidenschaft. Politische Schwerpunkte Industrie und Klimaschutz. Im Sauerland aufgewachsen, im Ruhrgebiet zuhause. Star Wars- und Spiele-Nerd. Seit dem 14. Lebensjahr politisch aktiv und seither für eine freie, offene und faire Welt unterwegs.

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